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Deutschland braucht eine Digitalagentur 

Deutschland braucht eine Digitalagentur – mit klarem Auftrag, politischer Rückendeckung und operativer Freiheit.
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Der verpasste Startschuss 

Während in Italien längst eine zentrale Digitalagentur arbeitet und den digitalen Wandel koordiniert, herrscht in Deutschland seit Jahren Stillstand. Die Diskussion um eine Umsetzungseinheit flammt regelmäßig auf, zuletzt im Bundestagswahlkampf. Doch danach: Funkstille. Kein klares Bekenntnis im Koalitionsvertrag, kein Auftrag im Organisationserlass – lediglich vage Hinweise, dass die Idee „weiter verfolgt“ werde. 

Die entscheidende Frage bleibt: Entsteht wirklich eine handlungsfähige Digitalagentur oder lediglich ein weiterer organisatorischer Zwischenschritt? Gerade in Zeiten, in denen digitale Identitäten, Vertrauensdienste und sichere Standards für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen immer wichtiger werden, braucht Deutschland mehr als Ankündigungen. Es braucht eine Agentur mit echtem Mandat. Das fordert auch Viola Heeger im Tagesspiegel. 

Was ist eine Digitalagentur überhaupt? 

Eine Digitalagentur ist keine neue Beratungsstelle, sondern eine operative Umsetzungseinheit der öffentlichen Verwaltung. Ihre Aufgabe ist es, die Lücke zwischen politischen Strategien und konkreter Umsetzung zu schließen. 

Ihre zentralen Funktionen: 

  • Projektmanagement von Anfang bis Ende: Von der Konzeption über die Steuerung bis zum Rollout. 
  • Standardisierung: Einheitliche technische, organisatorische und rechtliche Standards entwickeln und durchsetzen. 
  • Koordination: Überschneidungen vermeiden, Synergien nutzen und Projekte ressortübergreifend zusammenführen. 
  • Auftraggeberkompetenz: IT-Dienstleister gezielt steuern, statt sich von externen Vorgaben treiben zu lassen. 
  • Innovation und Skalierung: Neue Lösungen schnell erproben und bei Erfolg landesweit ausrollen. 

Kurz gesagt: Eine Digitalagentur ist die operative Schaltzentrale für die digitale Verwaltung – und sie muss mit einem klaren Mandat ausgestattet werden. 

Italien als Vorbild: Die AgID 

In Italien übernimmt die Agenzia per l’Italia Digitale (AgID) seit Jahren diese Rolle. Sie ist verantwortlich für: 

  • die Entwicklung nationaler Digitalstrategien
  • die Definition und Überwachung technischer Standards
  • die Förderung digitaler Identitäten (SPID – Sistema Pubblico di Identità Digitale), 
  • die Koordination von Cloud-Infrastrukturen für die öffentliche Verwaltung, 
  • sowie die Umsetzung europäischer Vorgaben wie eIDAS. 

Besonders sichtbar ist der Erfolg bei digitalen Identitäten: Mit SPID hat Italien ein System etabliert, das von Millionen Bürger:innen genutzt wird, um sicher und unkompliziert auf hunderte Verwaltungsleistungen zuzugreifen. Das System ist rechtswirksam, standardisiert und breit akzeptiert. 

Deutschland dagegen ringt noch immer mit fragmentierten Projekten und unklaren Zuständigkeiten. Der Vergleich zeigt: Mit einer zentralen Agentur können Standards gesetzt, Vertrauen geschaffen und Projekte konsequent umgesetzt werden. 

Zusammenspiel mit dem Bundesministerium für Digitales 

Seit der letzten Legislaturperiode verfügt Deutschland erstmals über ein Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS). Damit ist die politische Verantwortung klar im Kabinett verankert. Doch ein Ministerium kann vor allem Ziele formulieren, Strategien entwickeln und internationale Interessen vertreten – für die konkrete Umsetzung fehlt ihm die operative Schlagkraft. 

Genau hier setzt die Digitalagentur an: 

  • BMDS: Strategische Steuerung – das Ministerium definiert Prioritäten, setzt den regulatorischen Rahmen und vertritt die deutsche Digitalpolitik. 
  • Digitalagentur: Operative Umsetzung – sie übersetzt die Vorgaben in konkrete Projekte, entwickelt Standards, steuert externe Dienstleister und koordiniert ressortübergreifende Vorhaben. 

So entsteht ein arbeitsteiliges Modell: Das Ministerium gibt das „Was“ und „Warum“ vor, die Digitalagentur sorgt für das „Wie“ und „Mit wem“. Italien zeigt bereits, dass diese Rollenverteilung erfolgreich funktionieren kann. 

Warum Deutschland eine Digitalagentur braucht 

Die Herausforderungen sind offenkundig: Zersplitterte Zuständigkeiten, parallele Strukturen und eine Vielzahl an Organisationseinheiten, die nebeneinander existieren, ohne gemeinsame Schlagkraft zu entwickeln. Ob Digital Service, Zendis, Govtech Campus oder Sovereign Tech Agency – jede Einrichtung hat ihre Rolle, doch klare Verantwortlichkeiten fehlen. 

Eine Digitalagentur könnte diese Kräfte bündeln und so Vertrauen in die digitale Verwaltung zurückgewinnen. Nur wenn Projekte von Anfang bis Ende gesteuert und Standards verbindlich durchgesetzt werden, lassen sich Effizienz und Akzeptanz erreichen. Alles andere bleibt Symbolpolitik. 

Perspektive eines Vertrauensdienstleisters 

Für Vertrauensdiensteanbieter wie Namirial ist klar: Ohne klare Strukturen wird es schwer, sichere digitale Identitäten und elektronische Signaturen im großen Maßstab in Verwaltung und Wirtschaft zu etablieren. Einheitliche Standards, zuverlässige Prozesse und verbindliche Umsetzungswege sind Grundvoraussetzungen dafür, dass digitale Lösungen rechtswirksam und nachhaltig eingesetzt werden können. 

Eine Digitalagentur könnte hier als Taktgeber wirken – indem sie Standards setzt, Schnittstellen harmonisiert und Projekte stringent bis zur Umsetzung begleitet. Das schafft nicht nur Effizienz, sondern auch Vertrauen bei Bürger:innen und Unternehmen. 

Fazit: Jetzt die Weichen stellen 

Deutschland steht am Scheideweg. Entweder bleibt es bei halbherzigen Lösungen, die Zeit und Vertrauen kosten. Oder es gelingt, eine echte Digitalagentur aufzubauen – mit klarem Auftrag, politischer Rückendeckung und operativer Freiheit. 

Noch ist Gelegenheit, die Weichen richtig zu stellen. Doch dazu braucht es den politischen Willen, alte Fehler nicht zu wiederholen und mutig eine Struktur zu schaffen, die den digitalen Wandel nicht nur ankündigt, sondern endlich umsetzt. 

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