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Digitalpolitik auf Bewährung: 100 Tage und noch kein Durchbruch 

Nach 100 Tagen lässt sich festhalten: Die Digitalpolitik der neuen Legislatur bleibt bislang zu vage und unkoordiniert.
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Viele Worte, wenig Taten bis jetzt

Wie viele Chancen bekommt die Digitalisierung noch, bevor Vertrauen und Geduld endgültig verloren gehen?  Diese Frage drängt sich auf, wenn man nach den ersten 100 Tagen Amtszeit des neuen Digitalministers Karsten Wildberger Bilanz zieht. Ambitionierte Worte gab es viele – doch der Umsetzungsstand bleibt aus Branchensicht leider eher ernüchternd. 

Für die Vertrauensdienste-Branche bedeutet das: Statt klarer Strategien für digitale Souveränität, sichere Identitäten und zukunftsfähige Technologien herrscht weiter oft Unsicherheit. 

Digitalstrategie ohne klare Führung 

Zentrale Akteure der Digitalwirtschaft – darunter der Internetverband eco und der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) – beklagen eine Politik des Stillstands. Vor allem fehlende Koordination, unklare Zuständigkeiten und der Mangel an konkreten Umsetzungsplänen bremsen laut eco die dringend benötigte Modernisierung in den Bereichen KI, Datenschutz, Verwaltungsdigitalisierung und Rechenzentrumsinfrastruktur. 

„Wir brauchen jetzt Tempo, Führung und Gestaltungswillen“, betont Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco, in seiner Bewertung der ersten 100 Tage. 

Besonders bei der KI-Governance zeigt sich das Dilemma: Drei Ministerien sind involviert – doch es fehlt ein strategischer Rahmen. Aus Sicht digitaler Dienstleister wie Vertrauensdiensteanbietern ist das riskant: Ohne zentrale Zuständigkeit und regulatorische Klarheit wird das Potenzial von Technologien wie fernausgelösten qualifizierten Signaturen, KI-gestützter Identitätsprüfung oder automatisierter Vertragsprozesse gehemmt. 

Geduld und Druck: Die kommenden 100 Tage zählen doppelt 

Fairerweise muss man dem neu geschaffenen Ministerium auch zugestehen: Der Aufbau effizienter Strukturen braucht Zeit – gerade angesichts der Verflechtung mit anderen Ressorts und föderalen Ebenen. Und angesichts des enormen Nachholbedarfs – auch bedingt durch deutsche Alleingänge bei digitalen Standards – war ein sofortiger Durchbruch nicht zu erwarten. 

Doch jetzt ist die Erwartungshaltung entsprechend hoch: In den kommenden 100 Tagen muss das bisherige „Machen-Wollen“ sichtbar in konkrete Maßnahmen übergehen. Denn an vielen Stellen kosten schlecht digitalisierte oder gänzlich analoge Prozesse Zeit, Geld und nicht zuletzt Nerven – bei Verwaltung, Unternehmen und Bürgern. 

Gerade Vertrauensdiensteanbieter erleben im Alltag, wie unklare Rahmenbedingungen die Akzeptanz digitaler Identitäten, Signaturen oder Siegel verzögern. Deutschland braucht jetzt nicht noch mehr Pilotprojekte, sondern verlässliche Infrastruktur und praxisorientierte Umsetzung. 

Datenschutz, Souveränität und Open Source bleiben Baustellen 

Auch beim Datenschutz zeigt sich ein zersplittertes Bild. Der BVDW fordert eine Reform der Datenschutzaufsicht mit klaren Zuständigkeiten und weniger politischem Föderalismus. Der aktuelle Zustand erschwert die Entwicklung einheitlicher, vertrauenswürdiger digitaler Identitätslösungen. 

Die Open Source Business Alliance (OSBA) wiederum kritisiert, dass die Bundesregierung bislang keine sichtbaren Signale in Richtung Open Source Förderung oder eines Deutschland-Stacks gegeben hat. Das im Koalitionsvertrag angekündigte Engagement bleibe vage. 

„Es sollten wenigstens die richtigen Ansätze sichtbar sein – das ist leider nicht der Fall“, resümiert Peter Ganten, Vorsitzender der OSBA. 

Für Unternehmen, die auf Interoperabilität, Standardisierung und Transparenz angewiesen sind, ist dies eine vertane Chance. Digitale Souveränität beginnt bei der Technologieauswahl – das gilt besonders für Schlüsselinfrastrukturen im Bereich der Vertrauensdienste. 

Fazit: Vertrauen braucht Führung, nicht nur Absichtserklärungen 

Nach 100 Tagen lässt sich festhalten: Die Digitalpolitik der neuen Legislatur bleibt bislang zu vage und unkoordiniert. Für Anbieter qualifizierter Vertrauensdienste, die auf rechtssichere, interoperable und zukunftsfähige Lösungen setzen, fehlt es an klaren Leitplanken. 

Aber: Noch ist es nicht zu spät. Die kommenden 100 Tage werden entscheidend dafür sein, ob die Ankündigungen der Anfangsphase in nachhaltige Reformen überführt werden. Was es braucht, sind klare Zuständigkeiten, konkrete Fahrpläne und ein konsequentes Bekenntnis zu digitaler Souveränität, das auch Open Source, Datenschutz und standardisierte Identitäten einschließt. 

Denn wer Vertrauen will, muss verlässlich handeln – nicht nur reden. 

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