Wie sich Identitätsverwaltung in Europa wandelt – und welche Rolle Vertrauensdienste dabei spielen
Digitale Identitäten stehen im Zentrum zahlreicher öffentlicher und wirtschaftlicher Prozesse. Ob bei der Kontoeröffnung, dem Vertragsabschluss oder der Interaktion mit Behörden – Identitätsnachweise sind der Schlüssel zur digitalen Welt. Doch traditionelle, zentral verwaltete Modelle stoßen zunehmend an ihre Grenzen, insbesondere beim Thema Datenschutz, Portabilität und Nutzerautonomie.
Self-Sovereign Identity (SSI) bietet einen alternativen Ansatz: ein dezentralisiertes Identitätsmodell, das Nutzenden mehr Kontrolle über ihre Daten gibt – und gleichzeitig durch technische und rechtliche Standards Vertrauen schafft. Mit der Reform der eIDAS-Verordnung (eIDAS 2.0) nimmt Europa eine Vorreiterrolle in der Gestaltung solcher Identitätsökosysteme ein.
Was Self-Sovereign Identity auszeichnet
Im Zentrum von SSI steht die Idee, dass digitale Identitäten nicht von zentralen Behörden oder Plattformen „verwaltet“ werden, sondern dass die betroffenen Personen oder Organisationen selbst über sie verfügen. Technisch wird dies durch sogenannte Verifiable Credentials (VCs) und dezentrale Identifikatoren (DIDs) ermöglicht. Die Informationen werden nicht in einer zentralen Datenbank gespeichert, sondern in Wallets, die auf den Geräten der Nutzer:innen oder in sicheren Umgebungen verwaltet werden.
Die Transparenz dieser Technologien geht dabei Hand in Hand mit einem hohen Maß an Datenschutz: Nur die absolut notwendigen Informationen werden offengelegt – bei voller Nachvollziehbarkeit und Prüfbarkeit für Empfänger.
Der regulatorische Rahmen: eIDAS 2.0
Mit eIDAS 2.0 schafft die Europäische Union den weltweit ersten verbindlichen Rahmen für SSI auf supranationaler Ebene. Kernstück ist die Einführung der EU Digital Identity Wallet, die sowohl natürliche als auch juristische Personen für digitale Identitäts- und Attributnachweise nutzen können.
Diese Wallets sollen interoperabel, sicher und freiwillig nutzbar sein – allerdings auf Basis verpflichtender technischer Standards. Gerade bei der Ausstellung und Überprüfung von Credentials sieht der Gesetzgeber qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter (QTSPs) als zentrale Akteure vor. Sie garantieren die Rechtsgültigkeit von Attributnachweisen, digitalen Siegeln oder Signaturen und sorgen für die Anbindung an bestehende eID- und KYC-Infrastrukturen.
Self-Sovereign Identity für Unternehmen: Die European Business Wallet
Neben der EU Digital Identity Wallet für Bürger:innen sieht eIDAS 2.0 auch eine gezielte Förderung von organisationsbezogenen Identitätsnachweisen vor. Die sogenannte European Business Wallet (EUBW) soll es Unternehmen ermöglichen, digitale Nachweise über rechtliche Vertretung, Lizenzstatus, Registrierung oder andere geschäftsrelevante Attribute zu führen.
Diese Initiative wird bereits in europäischen Pilotprojekten erprobt. Beteiligte Akteure – darunter mehrere QTSPs und Wirtschaftspartner – arbeiten daran, Verfahren zur Ausstellung, Verifikation und Verwaltung solcher Nachweise in digitale Prozesse zu integrieren. Dabei steht insbesondere die Nutzung in B2B- oder B2G-Szenarien (etwa bei Ausschreibungen, Lieferketten oder Steuermeldungen) im Fokus.
Technologische Reife und Marktnähe
Auf internationalen Fachkonferenzen wie der Identity Week Europe 2025 zeigte sich deutlich: SSI ist kein rein theoretisches Konzept mehr. Die Kombination aus technologisch ausgereiften Wallet-Plattformen, praxistauglichem Identity Proofing und regulatorisch verankerter Vertrauensinfrastruktur eröffnet konkrete Mehrwerte – etwa durch beschleunigte Onboarding-Prozesse, effiziente Nachweisführung oder automatisierte Compliance-Kontrollen.
Gerade Vertrauensdiensteanbieter, die sich auf qualifizierte Signaturen, elektronische Siegel oder Identitätsprüfung spezialisiert haben, integrieren SSI zunehmend in bestehende Produktlinien. Erste Umsetzungen kombinieren dabei klassische eID-Verfahren mit der Ausgabe verifizierbarer Nachweise – z. B. für Berufsqualifikationen, Unternehmensrollen oder Vertragsmandate.
Fazit: Ein europäischer Weg zu selbstbestimmter Identität
Self-Sovereign Identity steht für einen Paradigmenwechsel im digitalen Identitätsmanagement. Europa geht diesen Weg konsequent – mit einem regulatorischen Rahmen, der Datenschutz, Interoperabilität und Vertrauen zusammenführt.
QTSPs spielen in diesem Ökosystem eine wichtige Rolle: nicht als Kontrollinstanz, sondern als Brücke zwischen Technologie und Rechtssicherheit. Ihre technische Infrastruktur, regulatorische Akkreditierung und Erfahrung mit vertrauenswürdigen Nachweisen machen sie zu einem zentralen Bestandteil der neuen, selbstbestimmten Identitätsarchitektur.
Der Erfolg von SSI in Europa hängt nicht nur von der Technologie ab – sondern auch davon, ob Vertrauen institutionell und rechtswirksam verankert ist.