Die europäische digitale Identität steht vor dem Durchbruch – oder vor dem nächsten Digitalfiasko. Beim Fachgespräch „Staatsmodernisierung jetzt: EUDI-Wallet einsatzbereit machen“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 17. September 2025 wurde deutlich, dass die EUDI-Wallet nicht nur ein technologisches, sondern vor allem ein vertrauenspolitisches Projekt ist. Sie ist das Herzstück der neuen eIDAS-2.0-Verordnung – und zugleich der Prüfstein für die Modernisierungsfähigkeit des Staates.
Digital souverän: Die EUDI-Wallet als europäisches Vertrauensinstrument
Die Wallet soll Bürgerinnen und Bürgern künftig ermöglichen, Identitäten, Nachweise und Signaturen EU-weit sicher zu verwalten. Damit entsteht ein Ökosystem, das Behörden, Unternehmen und Bürger gleichermaßen verbindet. Doch das Booklet und die Diskussion zeigen: Ohne klare Zuständigkeiten, föderale Abstimmung und Transparenz droht die Wiederholung alter Fehler – insbesondere der kaum genutzten Online-Ausweisfunktion. Ein europaweit interoperables Identitätssystem erfordert nicht nur Technik, sondern Vertrauen, Governance und Kommunikation.
Governance, Register und Zertifizierung: Der regulatorische Unterbau
Das Fachgespräch verdeutlichte, dass strukturelle und regulatorische Voraussetzungen über Erfolg oder Scheitern der EUDI-Wallet entscheiden. Der Bericht nennt zentrale Handlungsfelder:
- Rollenklärung und Governance: Wer darf digitale Nachweise ausstellen oder prüfen? Ohne klare Definition von Issuer und Verifier drohen Haftungsrisiken.
- Registerintegration: Die Anbindung von Melderegistern, Handels- und Fahrzeugdaten ist essenziell, um Datenqualität sicherzustellen.
- Zertifizierung & Sicherheitsniveaus: Europäische Harmonisierung der Sicherheitsstandards ist nötig, um Vertrauen zu schaffen und Prozesse grenzüberschreitend nutzbar zu machen.
- Benutzerfreundliche Aktivierung: Nach dem Ende des postalischen PIN-Rücksetzverfahrens braucht es neue, digitale Wege zur ID-Aktivierung – ein zentraler Faktor für Akzeptanz.
Die Zahlen sprechen für sich: Laut eGovernment Monitor 2025 haben nur 25 % der Ausweisinhaberinnen und -inhaber ihre eID überhaupt einmal genutzt. Eine bessere Usability ist damit mehr als ein Komfortthema – sie ist Voraussetzung für digitale Teilhabe.
EUDI-Wallet und Finanzsektor: Compliance im europäischen Kontext
Ein wichtiger Aspekt des Berichts betrifft den Finanzsektor. Ab 24. Dezember 2027 müssen Kreditinstitute laut EU-Verordnung 2024/1183 EUDI-Wallet-Identitäten aus allen Mitgliedsstaaten akzeptieren. Das bedeutet: Strong Customer Authentication (SCA) wird zu einem interoperablen, europaweiten Prozess. Für Compliance-Abteilungen bringt das neue Anforderungen in puncto Haftung, Datenintegrität und Interoperabilität mit sich.
Wie das Booklet betont, darf die Einführung der Wallet nicht von Land zu Land unterschiedlich erfolgen – nationale Alleingänge würden die europäische Idee konterkarieren und Wettbewerbsnachteile schaffen.
Vertrauen durch Kommunikation: Vom Technikprojekt zur Bürgererfahrung
Ein zentrales Motiv des Fachgesprächs war das Vertrauensdefizit. Wie mehrere Diskussionsbeiträge hervorheben, entscheidet die Kommunikation über den Erfolg der EUDI-Wallet – nicht die Technologie allein. Gefordert ist eine mehrphasige Kommunikationsarchitektur:
- Vor der Einführung: Aufklärung über Nutzen, Datenschutz und Sicherheit – konkret, alltagsnah, nachvollziehbar.
- Zum Rollout: Kampagnen, Kooperationen mit Banken, Hochschulen und Bürgerämtern.
- Nach dem Launch: Kontinuierliche Begleitung mit Erfolgsgeschichten und niedrigschwelliger Unterstützung.
Das Booklet betont hier, dass Kommunikation nicht als Marketing verstanden werden darf, sondern als strategischer Bestandteil von Vertrauen.
Pilotprojekte und Praxisnähe: Der Weg zur Nutzung
Die im Bericht aufgeführten Anwendungsbeispiele reichen vom digitalen Führerschein über BAföG-Nachweise bis zu Gesundheitsdaten. Doch laut mehreren Rednern im Fachgespräch (u. a. Ralph Brinkhaus und Dr. Markus Reichel) fehlt es an Ressourcen und verbindlichen Standards. Reallabore und Pilotprojekte sollen helfen, Prozesse zu testen und Vertrauen aufzubauen – etwa durch kontrollierte Umgebungen, in denen Nutzerfreundlichkeit, Datenschutz und Interoperabilität praktisch überprüft werden.
Für den Finanzsektor ist der Handlungsdruck klar: Die verbleibende Zeit bis 2027 muss genutzt werden, um Systeme, Schnittstellen und Prozesse frühzeitig anzupassen.
Politische Verantwortung und digitale Glaubwürdigkeit
Brinkhaus und Reichel betonten, dass der Erfolg der EUDI-Wallet zum Gradmesser staatlicher Modernisierungsfähigkeit wird. Entscheidend sei nicht die politische Rhetorik, sondern überprüfbare Fortschritte – etwa durch das angekündigte öffentliche Dashboard des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung, das künftig den Umsetzungsstand dokumentieren soll. Ein solches Instrument könne – so der Bericht – zu einem neuen Standard digitaler Verantwortlichkeit werden.
Fazit: Vertrauen ist die Währung der digitalen Identität
Zwischen Anspruch und Realität liegt noch ein weiter Weg. Doch die Richtung stimmt: Wenn Politik, Wirtschaft und Verwaltung gemeinsam handeln, kann die EUDI-Wallet zu einem praktisch nutzbaren Fundament europäischer Identitätssouveränität werden – statt zu einem weiteren Digitalexperiment. Gerade für Branchen mit hohen Compliance-Anforderungen gilt: Vertrauen ist die neue Infrastruktur.







