Ein neuer Alltag im digitalen Raum
Der Alltag wird immer digitaler – und mit ihm die Art, wie wir uns ausweisen, Verträge unterschreiben oder Dienstleistungen nutzen. Digitale Identitäten und Wallets stehen im Zentrum dieser Transformation. Doch während andere europäische Länder schon weiter sind, zeigt sich in Deutschland ein komplexes Bild aus Interesse, Zurückhaltung und fehlender Klarheit über den konkreten Nutzen.Eine aktuelle Studie des Digital Identity Observatory des Politecnico di Milano zeigt eindrucksvoll, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen und Gewohnheiten europäischer Nutzer im Bereich digitaler Identitäten sind.
Deutschland im europäischen Vergleich: Zwischen Offenheit und Vorsicht
Laut der internationalen Befragung von über 5.000 Internetnutzenden in fünf Ländern (Italien, Frankreich, Spanien, Vereinigtes Königreich und Deutschland) existiert eine deutliche Heterogenität bei Besitz und Nutzung digitaler Identitätssysteme.In Deutschland besitzen zwar viele Bürgerinnen und Bürger bereits eine Form digitaler Identität – etwa über Verimi, AusweisApp oder IDnow –, doch die Nutzung ist im Vergleich zu anderen Ländern eher zurückhaltend.
Rund 31 % der deutschen Nutzenden gehören zur Gruppe der „Identity Advanced“, also regelmäßige Anwender digitaler Identitäten, und 9 % zu den „Identity Addicted“, die diese Tools wöchentlich oder häufiger nutzen. Damit liegt Deutschland zwar im Mittelfeld, doch der Anteil der „Identity Averse“ – Personen ohne jegliche digitale Identität – bleibt mit 9 % höher als etwa in Italien (7 %).
Italien und Spanien zeigen hier einen deutlich reiferen Markt: Mit Systemen wie SPID sind dort über 80 % der Bevölkerung regelmäßig im digitalen Identitätsökosystem aktiv.
Vertrauen und Nutzen: Die Basis für Akzeptanz
Ein zentrales Ergebnis der Studie: Vertrauen und wahrgenommener Nutzen bestimmen maßgeblich die Akzeptanz digitaler Identitäten.Während in Spanien und Italien das Vertrauen in staatlich oder halbstaatlich geführte Identitätssysteme vergleichsweise hoch ist, zeigt sich in Deutschland eine stärkere Skepsis gegenüber der zentralisierten Verwaltung persönlicher Daten.Diese Zurückhaltung schlägt sich auch in der Nutzung sogenannter Trust Services nieder: Nur 21 % der deutschen Befragten gaben an, eine qualifizierte elektronische Signatur zu verwenden – deutlich weniger als in Spanien mit 59 % oder Frankreich mit 33 %.
Damit wird klar: Deutschland hinkt nicht technologisch hinterher, sondern kulturell. Vertrauen in digitale Prozesse entsteht hier langsamer und muss stärker erarbeitet werden – etwa durch transparente Standards, benutzerfreundliche Lösungen und nachvollziehbare Sicherheitsmechanismen.
BigTech Wallets als Türöffner – aber keine Lösung
Spannend ist der Blick auf die Nutzung von BigTech Wallets wie Apple Wallet, Samsung Wallet oder Google Wallet. Diese sind in allen untersuchten Ländern weit verbreitet – in Deutschland nutzt sie fast die Hälfte der Befragten (47 %), meist zum Speichern von Tickets oder Zahlungsmitteln.Doch das Vertrauen, dort auch amtliche Dokumente oder Identitätsnachweise zu hinterlegen, ist geringer: Nur etwa 20 % der deutschen Nutzer würden ihre Ausweisdaten in einer solchen Wallet speichern wollen.
Der Schritt vom digitalen Komfort zum digitalen Vertrauen ist also noch groß. Und genau hier setzt das Konzept der EUDI Wallet (European Digital Identity Wallet) an – als vertrauenswürdige, interoperable Lösung, die Sicherheit, Datenschutz und Benutzerfreundlichkeit vereint.
EUDI Wallet: Potenzial trifft Realität
Die Befragung zeigt, dass das Interesse an EUDI Wallets in Deutschland zwar vorhanden, aber verhalten ist.Etwa 40 % der Befragten gelten als „Wallet Ready“, also grundsätzlich interessiert oder bereit, eine europäische digitale Brieftasche zu nutzen. In Ländern wie Italien (56 %) oder dem Vereinigten Königreich (73 %) ist die Bereitschaft jedoch deutlich höher.
Interessant ist auch die Frage nach dem bevorzugten Anbieter: In Deutschland würden mehr als ein Drittel der Nutzer (33 %) eine staatliche Lösung bevorzugen, während nur 11 % einem BigTech-Unternehmen vertrauen würden.Das Vertrauen in öffentliche Akteure bleibt also höher als in kommerzielle Anbieter – ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz der EUDI Wallet in Deutschland.
Fazit: Der Schlüssel liegt in Aufklärung und Alltagstauglichkeit
Der Weg zur breiten Nutzung digitaler Identitäten und Wallets ist kein Sprint, sondern ein Marathon – oder, wie es die Studie ausdrückt:
„The transition to identity wallet is a race, but the countries are lining up to different start lines.“
Deutschland startet nicht von null, aber von einer Position, in der Bewusstsein und Vertrauen entscheidend sind.Damit die EUDI Wallet ihr volles Potenzial entfalten kann, braucht es gezielte Aufklärung, klare Anwendungsfälle im Alltag und vor allem: ein Ökosystem, das Vertrauen verdient und nicht voraussetzt.
Digitale Identität darf kein abstraktes Zukunftsthema bleiben, sondern muss als alltäglicher, sicherer und nützlicher Bestandteil des digitalen Lebens verstanden werden – eine Herausforderung, die gerade für Vertrauensdiensteanbieter wie Namirial zugleich Chance und Verantwortung ist.
Quelle:Giorgia Dragoni, The consumers’ perspective on digital identity, trust services and wallets, Digital Identity Observatory, Politecnico di Milano, Präsentation auf dem CA Day 2025







