Vom Rückstand zur Chance: Deutschland formt seine digitale Identität
Stellen Sie sich vor: Eine digitale Brieftasche, die sämtlichen identitätsbezogenen Papierkram ersetzt – vom Personalausweis über den Führerschein bis zur Gesundheitskarte. Ein Vision, die unter dem Schlagwort eIDAS Regulation 2.0 und der europäischen EUDI‑Wallet Regulation steht. Für Deutschland ist dieses Szenario keine ferne Zukunft mehr. Beim Politischen Abend der Bitkom am 28. Oktober 2025 skizzierte Dr. Karsten Wildberger, Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, die nächsten Schritte zur Einführung der nationalen Umsetzung der EUDI-Wallet. Für Anbieter qualifizierter Vertrauensdienste – wie elektronische Signaturen und digitale Identitäten – signalisiert diese Roadmap weitreichende Chancen und zugleich neue Anforderungen. In diesem Beitrag beleuchten wir wo Deutschland steht, welche Impulse Wildberger gesetzt hat und was daraus für die Akteure folgt.
Ausgangslage: Deutschland im europäischen Vergleich
Im europäischen Wettbewerb zeigt sich: Länder wie Österreich haben digitale Ausweise und das mobile Einbinden von Führerscheinen bereits umgesetzt – etwa der mobile Führerschein seit Ende 2022. Deutschland hingegen kennt aus der Vergangenheit Rückschläge, etwa bei der gescheiterten „ID-Wallet“ von 2021, die Führerscheine auf Smartphones bringen sollte, aber nicht wirksam Fuß fasste. Beim aktuellen Ansatz betont Minister Wildberger ausdrücklich, dass Deutschland sich einen Fehlstart nicht leisten kann; daher lautet die Devise weniger Geschwindigkeit um jeden Preis als vielmehr Sicherheit, stabile Infrastruktur und solide Prozesse.
Für uns als Vertrauensdiensteanbieter bedeutet das: Der Markt wächst, doch zugleich wächst der Anspruch an Sicherheits-, Interoperabilitäts- und Governance-Anforderungen.
Die Ankündigungen von Dr. Karsten Wildberger – ein Überblick
Gemäß der Aussagen Wildbergers beim Bitkom-Event ergeben sich folgende Eckpunkte:
- Die erste operationelle Version der nationalen EUDI-Wallet soll Digital-ID, Führerschein, Fahrzeugzulassung und die Gesundheitskarte beinhalten.
- Updates sollen in vierteljährlichem Zyklus erfolgen – neue Berechtigungsnachweise werden sukzessive hinzugefügt.
- Die Lösung wird nicht als statisches staatliches Produkt verstanden, sondern als lebendige digitale Infrastruktur, offen für Anwendungen der Privatwirtschaft und Innovationsansätze.
- Der organisatorische Rahmen wurde neu justiert, mit mehreren Workstreams, wöchentlichen Steuerkreisen und klarer Struktur – damit wird das Risiko eines klassischen „Big Bang“-Rollouts reduziert.
- Gleichwohl räumte Wildberger ein, dass Deutschland noch mit „verteilten Verantwortlichkeiten“ zu kämpfen habe – diese administrative Fragmentierung bremse die Effizienz.
Relevanz für Vertrauensdiensteanbieter
Aus Sicht eines qualifizierten Vertrauensdiensteanbieters ergeben sich mehrere konkrete Implikationen:
- Schnittstelle zur EUDI-Wallet: Signatur- und Identitätsdienste könnten Teil der Infrastruktur werden – etwa bei der sicheren Übermittlung oder Speicherung von digitalen Nachweisen (z. B. Führerschein, Fahrzeugdaten).
- Interoperabilität: Da die Wallet offen für private Anwendungen sein soll, entstehen neue Integrations- und Schnittstellenanforderungen. Vertrauensdienste müssen sicherstellen, dass ihre Systeme kompatibel und konform mit nationalen sowie europäischen Vorgaben sind.
- Sicherheits- und Governance-Anforderungen: Die Betonung auf Sicherheit und schrittweiser Einführung nimmt die Risiken in den Blick – hohe Anforderungen an Authentifizierung, Datenschutz, Auditierbarkeit sind zu erwarten.
- Piloten & Roll-out-Phasen: Der Ansatz mit sukzessivem Ausbau eröffnet Chancen für Early-Adopter-Projekte. Wer früh eingebunden wird, kann mitgestalten und Wettbewerbsvorteile erzielen.
- Wettbewerb & Partnerschaft mit Privatwirtschaft: Telekommunikation, Banken, Handel zeigen Interesse – das heißt: Vertrauensdiensteanbieter könnten Partner-Rollen übernehmen oder neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Chancen und Risiken im Blick
Chancen:
- Der Markt für digitale Identitäten wird deutlich grösser – neue Nachweise bedeuten neue Geschäfts- und Integrationsmöglichkeiten.
- Kooperationen mit staatlichen Stellen und privaten Plattformen eröffnen zusätzliche Kanäle.
- Ein stabiler, nationaler Grundrahmen reduziert künftig „Reibungsverluste“ und damit technische Hürden.
Risiken:
- Durch die zentrale Infrastruktur könnten Anbieter kritisch werden, wenn sie nicht frühzeitig eingebunden sind – Fragmentierung oder Exklusion drohen.
- Fehlende Klarheit bei Standards, Schnittstellen und Verantwortlichkeiten können Investitionsrisiken erhöhen.
- Wettbewerb durch große Plattform- und Infrastrukturplayer – insbesondere wenn die Wallet als Plattform fungiert, auf der viele Dienste angeboten werden.
Blick nach vorn: Handlungsempfehlungen
- Frühzeitig Position beziehen – prüfen Sie, wie Ihre Dienste in die EUDI-Wallet-Infrastruktur eingebettet werden könnten.
- Technische & regulatorische Vorbereitung starten – etwa Interoperabilität, Schnittstellen, Datenschutz- und Sicherheitskonformität.
- Kooperationsmodelle erkunden – mit staatlichen Stellen, Infrastruktur-Anbietern sowie branchenfremden Akteuren (z. B. Telekom, Banken, Handel).
- Flexibilität einplanen – da laut Wildberger ein schrittweiser Roll-out geplant ist, kann sich das System weiterentwickeln; Anbieter sollten agil bleiben.
Fazit
Mit den Ankündigungen von Bundesminister Wildberger gewinnt der Roll-out der nationalen Umsetzung der EUDI-Wallet in Deutschland an konkreter Gestalt. Für qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter – die etwa digitale Identitäten und elektronische Signaturen bereitstellen – eröffnet sich eine neue Infrastruktur-Ebene mit Potenzial, zugleich aber auch erhöhten Anforderungen. Ihre Rolle könnte sich weiter entwickeln: weg vom punktuellen Dienstleister hin zum strategischen Integrator digitaler Identitäts- und Vertrauensdienste. In den kommenden Monaten wird entscheidend sein, wie die Schnittstellen gestaltet, Governance-Modelle ausgeprägt und Kooperationen initiiert werden – und genau hier können vertrauenswürdige Partner mit hoher Kompetenz und Erfahrung punkten.







